GRAZIELLA BAERTSCH
Am letzten Kunstzmittag des Jahres tauschen wir uns zu sechst über unsere künstlerischen Projekte aus.
Ein erstes Mal ist Vijitha mit dabei. Wir stellen uns ausführlicher vor. Spannend für alle, weil dieser Einblick auch gleich hilft zu erfahren, wo jede einzelne im (künstlerischen) Leben steht.
Sunita stellt ihre aktuellste Bewegungsrecherche vor. Wir sind gespannt auf ihre eigenen Gedanken dazu. Während der letzten Austauschrunden hat sie ja ausgedrückt, dass sie am bestehenden Format (Tanzrecherchen auf Video festhalten und teilen) nicht mehr so viel Freude und Impulse findet wie zu Beginn. Bevor sie aber mehr dazu sagt, teilen wir unsere Gedanken, Bilder und Assoziationen dazu.
Das Thema Wasser, Unterwasserwelt ploppt bei mehreren Betrachterinnen auf. Die Fluidität der Bewegungen erinnert an einen Oktopus oder die Pflanzenwelt unter Wasser. Weiter sieht eine Person eine grosse Verbundenheit darin. Gleichzeitig scheint es, als wäre ein weicher Widerstand da, als würde Sunita sich Raum verschaffen. Auch die Bewegung von Befreiung, die Suche nach Wegen und das tanzende Umweben wird gesehen.
Sunita kommentiert unsere Eindrücke und bestätigt das Wahrgenommene. Sie tanzt in gleichbleibender Geschwindigkeit (5km/h), floatet damit stehend, nicht am Boden und nimmt das Spiel zwischen Schwerkraft und Schwerelosigkeit auf. Isabels Bilder zur Unterwasserwelt haben Sunita zu dieser Bewegungsrecherche inspiriert.
Immer wieder erleben wir innerhalb der Gruppe, dass der Austausch nicht nur während den gemeinsamen Kunstmittagen stattfindet sonder auch in den jeweiligen künstlerischen Ausdrucksformen, Impulse voneinander aufgenommen werden.
Isabel ist noch nicht lange zurück aus ihrem zweiwöchigen Aufenthalt in New York. Mit dieser Reise, die sie alleine unternommen hat, durchbricht sie grad mehrere Schallmauern. Sich alleine auf den Weg zu machen, kostete sie Mut. Diese Erfahrung hat sie gestärkt und grad zu weiteren Mut-Erlebnissen geführt. Beispielsweise hat Isabel den Tag der offenen Tür eines Kunstateliers in der Nachbarschaft besucht – ohne die Künstlerin zu kennen. Daraus hat sich ergeben, dass sie eine Ausstellung anzetteln wird.
Isabels Bilder bewegen sich weiterhin ums Thema Wasser. Die Motive sind aber näher gerückt. Heimische Gewässer geben den Impuls. Die Betrachterinnen sehen das Licht/die Brechung des Lichts als wichtiges Bildelement. Beim Betrachten tut sich das Herz auf. Eine extreme Tiefe tut sich im Bild mit den Wasserpflanzen auf. Es scheint, als würden sich die Pflanzen immer noch bewegen. Auch die Feinheit der Arbeit wird bemerkt.
Barbaras Drachen hat sie auf eine weitere Reise begleitet. Er ist an der Cantonale in Moutier ausgestellt. Für Barbara steht er für Transformation, Neues, das sie gewagt hat.
Durch die Ermutigung von Sunita hat sie sich gewagt, während der Ausstellung auch eine Performance im Zusammenhang mit dem Drachen zu machen. Sie hat sich dafür von Anfang an offen gelassen, wie lange das dauern wird. Sie war davor sehr nervös, aber nicht währenddessen. Eine Laterne diente ihr zum «Einziehen» und «Ausziehen» aus der Szene. Barbara hat die Ausstellung und Performance sehr gut erlebt, erfährt aber auch wie verletzlich sie so kurz nach einer solchen Aktion ist. Wir sind uns alle einig, dass es sich lohnt, sich genug Regenrationszeit einzuplanen und auch zu kommunizieren, wann man für Feedback bereit ist.
Vijitha zeigt den Entwurf für ein Bild, das in grösserem Format noch entstehen soll. Sie malt eine Ballettänzerin, inspiriert von der Ballettänzerin Michaela de Prince. Michaela wurde als Kind aus dem Krieg in Sierra Leon von einem amerikanischen Paar adoptiert. Früh wusste sie, dass sie Ballerina werden möchte und schaffte es auch, eine der ersten Primaballerinas zu werden. 29-jährig ist Michaela verstorben. Michaelas Leben beschäftigt Vijitha. Durch ihre Malerei bringt sie uns in Berührung mit den Themen, die Michaelas Leben bestimmt haben und uns auch betreffen.
Wir diskutieren die Fragen, die sich Vijitha als Künstlerin stellen. Wirkt das Bild? Wie wirkt es und wird ein Gefühl vermittelt?
Die erste Reaktion auf die Fragen: Vielleicht gibt es auf die keine Antwort. Oder anders gesagt, sind das Fragen, die jede*n Künster*in begleiten. Rückfrage: Welche Aussage hat es für dich?
Eine weitere Reaktion macht deutlich, dass Vijithas Erklärungen zum Bild und der Bezug zu ihrem eigenen Leben wichtig sind.
Wir sind uns einig, dass Vijitha mit diesem Bild politische Kunst macht, die zutiefst menschlich ist.