SUNITA ASNANI
Für unsere dritte Runde waren wir nur zu viert, denn Anicia hatte kurzfristig einen Auftritt und konnte deshalb nicht teilnehmen. Anwesend waren Isabel, Sarah, Joana und ich. Isabel moderierte uns entspannt und strukturiert durch den Austausch.
In dieser dritten Runde wurden ein paar ganz grundsätzliche Fragen aufgeworfen, die mich berühren, zum Denken anregen und inspirieren. Was ist unser Motor für Kreativität? Geht es uns um eine Praxis/ ein Handwerk oder ein Produkt? Was kommt zuerst? Wie treffen wir Entscheidungen in einem künstlerischen Prozess, wie finden wir Zusammenhänge, welche Bausteine überleben und welche fallen raus, und warum? Wann teilen wir mit einem Publikum unsere eigene Phantasie, wann möchten wir eher die Imagination des Zuschauers triggern?
Wir hatten uns zuvor unsere Beiträge wieder im Chat geteilt:
Sarah postete in unserem Chat: “Die grosse Ungewissheit über die Gesundheit eines Menschen hat mich am Abend bedrückt. Ich wollte nicht verzweifeln und das Kopfkino zulassen und wollte positiv Denken. Aber eigentlich wusste ich gerade nicht was Denken. Ich habe einfach meine Musik eingeschaltet und habe mich auf den Boden gesetzt und begonnen zu Zeichnen. Das erste Bild ist das schrille bunte Wachsbild. Ich denke unbewusst habe ich genau meinen Gesichtsausdruck getroffen.
Dann habe ich noch weitergemacht da ich noch Energie und Unsicherheit ablassen wollte. Da habe ich mit Softpastell-Kreiden darauf los geschmiert. DAS TAT GUT!
Ich teile das heute weil ich merkte das Kreativität auch einfach heisst zu SEIN!”
Die Entscheidung, mit Kreiden und Kohle zu arbeiten, geschah aus der Not heraus, einfach mit dem zu schaffen, was gerade da war, erzählt uns Sarah. Und dem Wunsch, grob zu zeichnen, und sich die Hände dreckig zu machen. Porträts, Gesichter sind für sie etwas anziehendes, weil sie da viele Emotionen entdeckt. Der Ursprung für dieses Interesse steckt wohl in ihrem Beruf als Fotografin, weil sie da sehr oft Porträtbilder gemacht hat. Im Gegensatz zur Fotografie, welche sie oft als Dienstleistung für jemand anderen erfahren hat, geht es ihr beim Zeichnen darum, eine innere Erfahrung auf Papier zu bringen. Die Beziehung und Vermischung von analog und digital in ihrem künstlerischen Schaffen finde ich hochspannend. Das Thema ist auch in meiner choreographischen Recherche mit Joana immer klarer aufgetaucht.
Joana und ich haben in unserem Blog geschrieben: “Das projizierte Raster erscheint mir immer mehr wie ein Sinnbild für die digitale Welt. Das Netz, durch das wir gleiten, schlüpfen, oder in dem wir hängenbleiben. Ich beginne ein paar Texte zum Körper in der digitalen Welt zu überfliegen und stolpere über den Begriff “digitaler Zwilling” – der mir irgendwie ganz passend erscheint zu der Arbeit, die hier entstehen könnte. Ein digitaler Zwilling repräsentiert ein reales Objekt in der digitalen Welt. Es kann sich um materielle oder immaterielle Objekte handeln. Sie werden für Simulationen und komplexe Analysen eingesetzt.
Folgender Satz bleibt hängen: “Von allen Seiten kreist die Technik den materiellen Körper ein, der in ihrem übermächtigen Angesicht erblasst, langsam transparent wird, um sich scheinbar ganz aufzulösen.” – Jörg Müller, aus “Virtuelle Körper”.
In der Runde sprechen wir über den Einfluss der Musik in unserem choreographischen Schaffen. Isabel fragt uns, ob wir die Musik im Video auch in Echtzeit gehört haben, als wir die Videoaufnahmen machten.
Wir erklären ihr, dass wir während den Aufnahmen entweder gar keine Musik oder rein zufällig gewählte Musik hören. Unsere Bewegungen entstehen nicht aus der Musik heraus, sondern aus den choreographischen Aufgaben, die wir uns stellen. Die Musik spielt jedoch für mich eine wichtige Rolle beim Auswerten der Videos, da spiele ich gerne mit sehr unterschiedlicher Musik - sei es klassisch, elektronisch, Hip Hop etc.. Es lässt mich das bewegte Bild, die “Story” durch viele verschiedene Filter betrachten. Sehr oft erkenne ich mit der “richtigen” Musik, was ich von dieser Bewegung möchte, und wohin der nächste Schritt führen sollte in der Recherche. Die Musik gibt mir also nicht vor, wie ich mich bewege, aber sie beeinflusst, wie man der Bewegung zuschaut. Ich würde diese Erfahrung gerne explizit mit dem Publikum teilen. Mir schwebt vor, dass das Publikum mit Kopfhörern zuschaut und aus drei verschiedenen Musikstücken wählen kann. Und somit dieselbe Szene, dieselbe Bewegung auf drei unterschiedliche Arten erfährt. Vielleicht würde so jedem bewusst, wie wir unsere “Story” immer selbst zusammenstellen, wie wir unser Wirklichkeitskonstruktion, unsere Wahrnehmung selbst komponieren.
Isabel erzählt uns, dass ihre Motivation beim kreativen Schaffen ist, “einfach zu machen”. Zu üben, sich einen Tag pro Woche voll und ganz der Praxis des künstlerischen Handwerks zu widmen. Dies half ihr in der Vergangenheit, als die Fragen “Was ist Kunst” und “wann ist jemand Künstler_in” und “bin ich Künstlerin” anfingen zu stressen und blockieren. Mich inspiriert ihr Ansatz sehr. Künstler_in ist, wer seine Kunst praktiziert - das ziehe ich zumindest daraus, und das sehe ich in ihrer Arbeit. Die Praxis sieht wohl für jede_n Kunstschaffende_n anders aus, und muss ja auch erstmal gefunden werden. Ich finde es wichtig, dass diese Praxis nicht hinterfragt oder instrumentalisiert wird, sie soll nichts erklären müssen, sie muss einen Raum haben, um einfach gepflegt zu werden und zu sein, was sie ist. Vielleicht ist die die Basis für jedes künstlerisches Schaffen.
Isabel interessiert sich zur Zeit dafür, wie sie von gegenständlicher zu mehr abstrakter oder aus der Phantasie entstandenen Kunst kommt. Sie schreibt in ihrem Blog: “Am 20. November stelle ich das Birkenbild fertig. Ich ergänze es um die silbergrünen Vierecke, die den oberen Bildteil farblich etwas mehr mit dem unteren Bildteil verbinden. Und dann füge ich noch ein bisschen mehr Gelb und Ocker hinzu. Jetzt ist das Bild fast mehr ein Farbteppich als ein gegenständliches Bild. Ich bin noch nicht ganz sicher, aber ich glaube, dieser Aspekt passt mir recht gut.”
Zum Abschluss unserer Runde beschliessen wir ein Kunstzmittag Special zu machen zum Jahresende: Am 18. Dezember werden wir alle zu einem gemeinsamen Thema etwas machen. Ich freue mich total darauf zu sehen, was da entstehen wird!